Köniz/Niederscherli (BE): Partizipative Fussweganalyse (Pionierprojekt)

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Für sichere Fusswege müssen Hindernisse und Gefahren erkannt und nach Möglichkeit beseitigt werden. Die Gemeinde Köniz hat 2021 mit einer Schulklasse der Schule Niederscherli eine partizipative Fussweganalyse durchgeführt. Parallel dazu beurteilten ältere Personen aus Niederscherli ihrerseits ihre Fusswege. Mit 110 Rückmeldungen für 61 Standorte übertrafen die Rückmeldungen die Erwartungen bei weitem. Zahlreiche niederschwellige Verbesserungsmassnahmen konnten rasch umgesetzt werden. Dazu gehören nicht nur aufgefrischte Markierungen, geflickte Stolperfallen und die Sanierung einer morschen Holztreppe, sondern auch Massnahmen im Winterdienst oder eine altersgerechte Sitz- und Ruhebank auf einem stark ansteigenden Wegabschnitt. Weitere Massnahmen wie Poller oder Fussgängerlängsmarkierungen sind in Planung.


Niederscherli ist ein ländlicher Ortsteil der Gemeinde Köniz mit rund 2200 Einwohnerinnen und Einwohnern. Statt mit verschiedenen Einzelmassnahmen hat sich die Gemeinde zum Ziel gesetzt, die Situation der Fusswege auf Basis eines Gesamtbildes zu verbessern: Die direkt betroffene Bevölkerung soll im Rahmen einer Partizipativen Fussweganalyse umfassend aufzeigen, wo sie welche Hindernisse, Gefahren oder Schwachstellen auf ihren Fusswegen sieht.

Übergeordnet interessierte die Gemeinde in diesem Pionierprojekt zudem die Frage, wie viele Rückmeldungen in welcher Qualität resultieren, wenn die Gemeinde die Bevölkerung zur aktiven umfassenden Partizipation ihrer Fusswege einlädt, und welche Massnahmen aus einem derartigen Partizipationsprozess umgesetzt werden können in den drei Zeithorizonten rasch, mittel- und langfristig.

Es ist das erste Mal, dass die Gemeinde Köniz eine Partizipative Fussweganalyse durchgeführt hat. In einer internen Auswertung wird geklärt werden, ob beziehungsweise mit welchen Anpassungen sich das Vorgehen auf weitere Ortsteile ausweiten lässt.

Vorgehen

Einbezogen in die Fussweganalyse wurden diejenigen Bevölkerungsgruppen, die zu Fuss am meisten auf eine sichere Infrastruktur angewiesen sind: Kinder und ältere Menschen. Das Vorgehen wurde auf die jeweilige Kategorie abgestimmt:

  • Schülerinnen und Schüler einer 3./4.-Primarklasse absolvierten nach entsprechender Vorbereitung und Einführung in Zweiergruppen ihre Schulwege. Dabei fotografierten sie georeferenziert Gefahrenstellen, beschrieben diese auf elektronischen Tablets und konnten auch Lösungsvorschläge eintippen. Eltern hatten die Gelegenheit, schriftlich weitere Rückmeldungen anzubringen.
  • Für die älteren Menschen wurde als Vorgehen ein gemeinsamer Spaziergang gewählt: Die Partizipationsmöglichkeit wurde öffentlich ausgeschrieben und die teilnehmenden Seniorinnen und Senioren spazierten in Gruppen durch verschiedene Quartiere sowie auf ihren Freizeitwegen. Eine Begleitperson aus der Arbeitsgruppe protokollierte ihre Feststellungen.

Schulkinder, Seniorinnen und Senioren sowie Eltern brachten total 110 Rückmeldungen ein. Ein Wert, welcher die Erwartungen der Organisierenden deutlich übertraf. Die Mängelliste war beachtlich und umfasste u.a. schlechte Markierungen, fehlende Trottoirs, zu schnelle Autos, unübersichtliche Strassenabschnitte oder Löcher im Belag.

Die Rückmeldungen und Handlungsempfehlungen stehen der Gemeinde in einer georeferenzierten Datenbank zur Verfügung und Fussverkehr Schweiz erstellte einen Schlussbericht zur Analyse (Link). Die Gemeinde ermittelte den Handlungsbedarf und setzt laufend entsprechend ihren finanziellen und personellen Ressourcen Verbesserungsmassnahmen in folgenden Bereichen um: Fusswegnetz, Verkehrssicherheit, Sitzbankangebot sowie Verbesserung von Infrastrukturen inklusive Hindernisfreiheit.

Umsetzung von Folge-Massnahmen

Priorität hatten in der Umsetzung niederschwellige Massnahmen auf Gemeindestrassen, da in diesem Bereich der grösste Handlungsspielraum für die Gemeinde besteht. Bereits umgesetzt wurden 12 kurzfristig Massnahmen. Beispiele dafür sind die Verschiebung von Fussgängerstreifen für bessere Sicht, das Schneiden von Hecken und Bäume, Erneuern von abgeblätterten Markierungen oder das Ausbessern von Wegen mit Stolperfallen. Weitere Massnahmen waren Anpassungen an der Schneeräumung oder verstärktes Vorgehen gegen illegales Parkieren für Kurzeinkäufe auf einem Trottoir.

Grössere und mittelfristige Projekte, zum Beispiel das Markieren von Fussgängerlängsstreifen mit Schutzpollern oder Tempo-Reduktionen, wurden aufgegleist und eine Absprache mit dem Kanton gestartet. Eine Karte aller Rückmeldungen, der Massnahmen inkl. Stand der Umsetzung findet sich verlinkt auf der Projekt-Website (Link).

Der Einbezug des Kantons ist für eine erfolgreiche Weiterführung des Projekts zentral: Rund ein Drittel der identifizierten Standorte mit Massnahmenbedarf bezog sich auf die den Ortsteil trennende Kantonsstrasse. Um den Anliegen der Bevölkerung das entsprechende Gewicht beizumessen, wurden die Rückmeldungen zur Kantonsstrasse dem Kanton anlässlich einer Ortsbegehung übergeben und im Detail dokumentiert. Der Kanton ist offen, Synergien zu nutzen und gewünschte Massnahmen bereits im Zusammenhang mit zwei geplanten Grossprojekten für die Jahre 2023/2024 zu prüfen. Zur Debatte stehen beispielsweise eine Temporeduktion, eine Kernfahrbahn mit durchgehenden Velostreifen sowie neue Fussgängerstreifen-Mittelinseln auf der Kantonsstrasse.

Einschätzung und Herausforderungen

Eine derart umfassende Partizipation weckt hohe Erwartungen seitens der Bevölkerung. Nach erfolgter Partizipation ist eine möglichst rasche Massnahmenumsetzung seitens Gemeinde erforderlich. Eine stattliche Zahl an kleineren, rasch realisierten Massnahmen belegt den Willen der Gemeinde, die Rückmeldungen ernst zu nehmen und macht die Wirkung der Fussweganalyse sofort sichtbar. Grössere Massnahmen sowie Massnahmen auf der Kantonsstrasse benötigen eine längere Umsetzungsdauer und sind für die Bevölkerung teils weniger als Ergebnis der Fussweganalyse erkennbar.

Eine andauernde transparente Kommunikation zum Projektstand und zum weiteren Vorgehen seitens Gemeinde und Kanton sind wichtig (siehe dazu die Projekt-Homepage www.köniz.ch/fussweganalyse). Ebenso müssen rechtzeitig die finanziellen und insbesondere personellen Ressourcen auf allen Umsetzungsstufen bereitgestellt werden. Namentlich der personelle Aufwand ist nicht zu unterschätzen.  

Auftraggeber

Gemeinde Köniz, Direktion Planung und Verkehr

Projektträger

Abteilung Verkehr und Unterhalt AVU, Verkehrsplanung

Auftragnehmer

Fussverkehr Schweiz (Teilnahme an Begleitgruppensitzungen, Fachliche Unterstützung bei Planung, Organisation und Partizipation sowie Evaluation)

Eine Begleitgruppe mit Vertretungen aus Niederscherli (Ortsverein und Elternrat) und der Gemeindeverwaltung (Projektleiter Verkehrsplanung, Altersbeauftragte und Schulleiter) plante und organisierte die Partizipation.

Zeitplan

2020/2021: Planung und Organisation mit Fussverkehr Schweiz und Begleitgruppe

2021: Partizipation Primarschüler, Senioren und Eltern (zweimalige Verschiebung infolge Corona)

Ende 2021: Schlussbericht von Fussverkehr Schweiz mit Datenbank liegt vor

2022: Evaluation und Priorisierung von Massnahmen 

2022: Detaillierte Übergabe der Rückmeldungen zu Kantonsstrassen an den Kanton

Ab April 2022: Umsetzung von Massnahmen auf Gemeindestrassen


Kostenrahmen

Partizipation, ohne Umsetzungsmassnahmen

  • Externe Aufträge: CHF 18'000.-
  • Personalressourcen Verkehrsabteilung: 20 Stellenprozente
  • Erste Umsetzungsmassnahmen konnten im Rahmen des laufenden Budgets umgesetzt werden