Die FussgängerInnen sollen ihr angeborenes “Stadtrecht”,
den ihnen zustehenden Platz im öffentlichen Raum zurückerhalten: Dies
ist der erklärte politische Wille der Genfer Stadtbehörden. Mit der
bevorstehenden Genehmigung des städtischen Fussweg- Richtplans* rückt
das Ziel einer attraktiven, sicheren und belebten Fuss-gängerstadt einen
grossen Schritt näher. Bemerkenswerte an der Genfer Fusswegplanung ist
nicht nur das sys-ematische und um grösstmögliche Transparenz bemühte
Vorgehen in partizipativen Prozessen, sondern auch die begleitende
mustergültige Öffentlichkeitsarbeit.
“Ferrazino will Genf den
Fussgängern ausliefern”, titelte am 25.3.2000 die Tribune de
Genève,nachdem das zuständige Exekutivmitglied die zweite Generation der
Fussgängerplanung, den aufs Bundesgesetz über Fuss- und Wanderwege
gestützten “Plan directeur des chemins pour piétons”, vorgestellt hatte.
Jahrzehntelang war die Léman-Stadt zuvor dem Autoverkehr ausgeliefert
worden – mit klassischer “verkehrstechnischer” Planung alter Schule.
Logische
Folge des zunehmend weitmaschigen oder zerschnittenen Fusswegnetzes:
Der Fussverkehr blieb in Genf mehr und mehr auf der Strecke (wie
übrigens auch das fast gänzlich verbannte Tram, dessen –
grenzüberschreitendes – Netz bis zu den Sechzigerjahren das
ausgedehnteste in Europa war).
Der Beginn einer neuen ÄraSeither
jedoch hat der Wind in Verwaltung und Politik gedreht. Ein auf 10 bis
15 Jahre angelegtes Aktionspro-gramm zur Förderung des Zufussgehens im
städtischen Raum nimmt nach und nach Gestalt an. Auf die
Mass-nahmenpläne zu Luftreinhaltung und Lärmschutz sowie zum
Zweiradverkehr folgte 1995 der erste Plan Piétons. Mit dem im März 2000
aufgelegten Fussweg-Richtplan will man nun die nötigen Rahmenbedingungen
schaffen, um überall dort koordiniert eingreifen zu können, wo die zu
Fuss gehende Bevölkerung der Schuh drückt. Fussgängerfreundliche
Lichtsignal-Regelungen, Schulwegsicherung, Schaffung einladender
Begegnungsräume und Einkaufsmeilen,
Sicherung von Durchgangsrechten,
flächige Verkehrsberuhigungsmassnahmen: Die Liste der Handlungsfelder
und Ansatzpunkte, die der auf die Fussgänger-Planungen der
Nachbargemeinden abgestimmte Richtplan unter einem Dach vereinigt, ist
lang. Zudem will die Stadt damit gleichzeitig den Grundsätzen ihrer
Agenda 21 vollends entsprechen können. Obwohl für ihn noch keine
gesetzliche Grundlage vorhanden war, löste bereits der
“Plan Piétons”
ab 1995 eine ganze Reihe punktueller Verbesserungen für den
Fussgängerverkehr in einzelnen Quartieren (Jonction, Rod-Soubeyran,
Cluse-Roseraie, Petit-Saconnex und Stadtzentrum) sowie im Bereich von
Kreuzungen aus – nicht unbedingt spektakulär, aber sehr gezielt. Das
Erfolgsrezept: ein enges Zusammenwirken aller beteiligten städtischen
Stellen (Planung, Projektierung, Realisierung, Betrieb), immer unter
Einbezug von betroffenen Anwohnervereinigungen, Eltern von Schulkindern,
Fussgänger- und Veloorganisationen und Gewerbetreibenden. Ansprechende
Umgestaltungen wie zum Beispiel die neue Seujet-Passerelle über die
Rhone liegen ganz auf der Linie des Richtplans. Speziell erwähnenswert
auch die auf mindestens 2.5 Meter verbreiterten Trottoirs und die
Quartierstrassen mit Tempo 30 oder gar 20.
Gutes tun – und gut verkaufen!Nicht
weniger als 15 gefällig aufgemachte Publikationen, vom Aufkleber über
Glückwunschkarten bis zum originellen Stadtführer, und dreissig
verschiedene Veranstaltungen – Strassenaktionen, Tag ohne Auto, Wettb
werbe, Vorträge etc. – säumen den bisherigen Weg des Stadtgenfer
Fusswegnetzes. Informations- und Marketingarbeit gilt hier zu Recht als
wesentlicher Bestandteil der Bemühungen, dem Fussverkehr freie Bahn zu
ver-schaffen. Man spannt die Massenmedien ein und bedient sich aller
andern verfügbaren Informationskanäle – Tourismusbüro, Museen, Hotels,
private Organisationen usw. –, um die Fortbewegung per eigene Füsse
popu-lär zu machen. Und wer unter
www.ville-ge.ch surft, bekommt nicht
nur den Jet d‘eau zu Gesicht, sondern stösst bereits auf der
Einstiegsseite auf den Plan Piétons. Ein Besuch der übersichtlich und
ansprechend ges-talteten Site lohnt sich.
Im öffentlichen Bewusstsein verankertPlan
Piétons heisst: Sicherheit und Komfort für die zu Fuss Gehenden auf
einem attraktiven, lückenlosen Fusswegnetz, auf den täglichen Wegen im
Quartier so gut wie beim Spazieren und Promenieren. Noch ist Genf nicht
das Fussgängerparadies auf Erden, aber: Das schon Erreichte und die
Tatsache, dass bei der Planung und Ausführung von Verkehrsanlagen und
–massnahmen kein Weg mehr an den zu Fuss Gehenden vorbeiführt, machen
die Stadt Genf zur würdigen Gewinnerin des Innovationspreises
Fussverkehr 2000/2001.
Die 5 Stossrichtungen des Richtplans
- 1. Encourager les promenades
Das Stadtwandern ist des
Genfers Lust! Der Richtplan vernetzt die übers ganze Stadtgebiet
verstreuten Erholungsräume und kulturellen Stätten mit attraktiven Fuss-
und Wanderwegen.
- 2. Valoriser des lieux et des places par quartier
Aufwertung
des öffentlichen Raums: Sitzbänke und Platz für FussgängerInnen, wo
früher Autos verkehrten oder parkten (Sektor Rue des Sources).
- 3. Faciliter les mouvements piétons
Freie,
sichere Bahn für den Fussverkehr, gerade auch im Umfeld von
Schulhäusern: an der Rue de Berne unter Einrichtung einer Wohnstrasse.
*
Richtpläne haben eine koordinierende Funktion zwischen den im
öffentlichen Raum planenden und bauenden Akteuren, zwischen Kantonen und
Gemeindeverwaltungen. Sie müssen Ziele und Abläufe für alle beteiligten
Stellen transparent machen. Der Richtplan ist behördenverbindlich und
sieht einen Zeithorizont von 10–15 Jahren vor.
- 4. Eliminer les obstacles aux piétons
Solche “Sackgassen” soll es in Genf keine mehr geben.
- 5. Modérer le trafic à l’échelle de quartier
Flankenschutz für die Genfer Fussverkehrspolitik: Mehr und mehr hält auf den untergeordneten
Strassen in den Wohnquartieren Tempo 30 Einzug.