Mit der umfassenden Neugestaltung der südlichen Altstadt hat die Stadt St.Gallen einen bleibenden Mehrwert geschaffen, der bei der städtischen Bevölkerung, aber auch weit darüber hinaus, grosse Anerkennung findet. Basierend auf dem ganzheitlichen Gestaltungskonzept aller Altstadtgassen wurden nach der südlichen Altstadt nun die Gassen der mittleren (Brühlgasse zusammen mit der Spisergasse und der Kugelgasse) und nördlichen Altstadt (Engel- Metzgergasse und Goliathgasse) baulich saniert und gestalterisch aufgewertet und eine einheitliche Verkehrsorganisation realisiert.
Brühlgasse
(Spisergasse und Kugelgasse); mittlere Altstadt
Der Strassenraum der Brühlgasse ist geprägt von einer
Abfolge von vier Raumausweitungen, die vom Aufeinandertreffen der älteren von
West nach Ost verlaufenden Gassen mit der schräg gestellten Brühlgasse
herrühren. Auf zwei kleinen Plätzen befinden sich Brunnen, deren Lage bereits auf dem Planprospekt von Melchior Frank (1596) verbürgt ist.
Heute ist die Brühlgasse mit ihren vielen Restaurants und Bars eine wichtige
Ausgangsmeile in der St.Galler Altstadt. Abgesehen von der Anlieferung und dem Zubringerdienst ist die Gasse – dank
verschiedenen Massnahmen in den letzten Jahrzehnten – heute für den
motorisierten Individualverkehr praktisch bedeutungslos. Sie ist aber von
Fussgängerinnen und Fussgängern intensiv genutzt.
Da die Brühlgasse zusammen mit der Spisergasse und der
Kugelgasse das prägende Erschliessungsnetz der östlichen Altstadt bildet, wurde
die Gestaltung in diesen Gassen identisch vorgenommen. Auf Grund von Hinweisen
der IG Alter, des Seniorenrates und Erfahrungen von anderen, bereits
gestalteten Gassen, wurde neu eine Mittelrinne mit einem 90 cm breiten
Gehstreifen aus geschliffenen Natursteinplatten verlegt. Die bisherige
Einheitlichkeit dieser Altstadtgassen wurde dadurch zugunsten einer
komfortableren Nutzung für gehbehinderte Menschen verbessert. Die
Oberflächenbeschaffenheit der Steine, die Verlegeart und die Ausfugung wurden minutiös
ausgelotet und weiterentwickelt sowie von den Behindertenverbänden als geeignet
erachtet. Dank des leicht tiefer gesetzten Mittelstreifens ist auch die
Orientierungshilfe für Sehbehinderte verbessert worden. Es wurden zudem neue
LED-Wandleuchten montiert. Bei den Plätzen mit Brunnen wurden jeweils drei
Spots angeordnet, welche die Brunnen zusätzlich in Szene setzen.
Bei der Wahl der Natursteine wurde sichergestellt, dass
diese aus Europa stammen und in den entsprechenden Steinbrüchen die üblichen
arbeitsrechtlichen Bedingungen eingehalten werden.
Engelgasse und
Metzgergasse; nördliche Altstadt
Die Engelgasse entstand um die beiden kirchlichen
Kristallisationspunkte Frauenkloster St.Katharinen und Kirche St.Mangen. Im
Laufe des 15. Jahrhunderts wurde die nördliche Altstadt mit in die Stadtanlage
einbezogen und erhielt ebenfalls eine Umfassungmauer. Bauten aus der Zeit der
Wende des 19. zum 20. Jahrhundert bestimmen heute das Strassenbild. Die
einheitliche, schmale Parzellierung verweist jedoch auf den Charakter einer
mittelalterlichen Gasse.
Als direkte Verbindung zwischen Bohl und dem nördlichen
Stadttor war die Metzgergasse bereits früher eine der wichtigsten Verbindungen
der nördlichen Altstadt. Am nördlichen Ende stand in der gesamten Breite der
Gasse bis Anfang des 19. Jahrhundert der Harzturm, er war ursprünglich ein Teil
der Stadtmauer. Westlich zu diesem Turm bestand mit dem sogenannten
«Metzgertörli» ein Durchgang durch die Mauer und über den Graben aus der Stadt
hinaus. Die ursprünglichen Parzellen der Gasse sind zum grössten Teil noch
vorhanden. Heute weist die Metzgergasse einen hohen Anteil an Bauten aus dem
19. Jahrhundert auf.
Ziel der Neugestaltung der beiden Gasse war eine möglichst
offene, grosszügige und authentische Raumwirkung mit einer harmonischen
Verbindung der Gassenbereiche. Zu diesem Zweck wurden die Gassen, analog den
anderen bereits umgestalteten Gassen, mit Natursteinen ausgestattet. In der
Metzgergasse wurden die bestehenden Trottoirflächen entfernt. Dadurch konnte der
öffentliche Raum aufgewertet werden. Die Auto Parkplätze konnten aufgehoben und
das Angebot an Fahrradabstellplätzen leicht erhöht werden. Es wurden neue Gassenbeleuchtungen
installiert.
In der Engelgasse
hat man sich für eine sogenannte «ungebundene» Pflästerung entschieden. Die
Bogenpflästerung in der Mitte der Gasse wie auch die Reihenpflästerung in den
Randbereichen werden analog zur Augustinergasse mit Pflastersteinen aus
Quarzsandsteinen und Basaltsteinen erstellt. Sowohl bei der Wahl der
Natursteine als auch bei der Art der Fugenausgestaltung wurden die ökologischen
Aspekte und diejenigen der Gehbehinderten möglichst gut berücksichtigt. Die
sehbehinderten Personen können sich an der Rinne orientieren. Diese Rinne wurde
in einem einheitlichen Abstand mit hellen Wassersteinen versehen, so dass der
Kontrast verstärkt wird und Personen mit eingeschränkter Sehstärke gut geführt
werden.
Erfahrungen aus der mittleren Altstadt haben gezeigt, dass
in der Metzgergasse mit deutlich mehr Gefälle als in der Engelgasse, eine in
Sand verlegte, «ungebundene» Pflästerung der Belastung des Verkehrs und den
Anforderungen an die Gasse nicht entspricht. In Gesprächen mit Procap, dem
Quartierverein sowie mit der Gassengesellschaft und dem Gewerbe, zeichnete sich
im Rahmen des Bauprojekts zweifelsfrei ab, dass die Metzgergasse in gebundener
Bauweise ausgeführt und die Gestaltung analog zur Brühl- und Kugelgasse mit
einer Reihenpflästerung aus Quarzsandstein und mit einer 90 cm breiten
Mittelrinne erfolgen soll. Diese Mittelrinne erhöht den Gehkomfort und dient
zugleich als Führung für Sehbehinderte. Als Weiterentwicklung der innovativen
Mittelrinne wurde in Absprache mit Procap der Einfassstein schiefwinklig um die
Mittelrinnen versetzt, damit die Rinne für Gehbehinderte besser quer- und
befahrbar wird.
Verkehrsregime /
Koexistenz
Die Altstadtgassen waren bis in die Achtzigerjahre geprägt
vom Autoverkehr. Die Gassen dienten sowohl als Durchfahrtsrouten als auch als Parkplätze.
Die Zufussgehenden wurden stark an die «Seiten gedrückt». Ihnen standen nur
schmale, meist unkomfortable Trottoirs zur Verfügung. Mit der Umsetzung des
Konzepts «Lebendige Altstadt», welches im Jahr 1974 gestartet und ständig
weiterentwickelt wurde, konnten erste, deutliche Verbesserungen für den Fussverkehr
erzielt werden. Das Konzept sieht folgendes vor:
Nebst dem Bau von Tiefgaragen ausserhalb der Altstadt und
der Einführung von Sperrzeiten konnte eine massive Verbesserung erzielt werden.
Mit der nun flächigen Neugestaltung der Gassen konnte den Fussgängern und
Fussgängerinnen auch gestalterisch die grosszügigen Gehflächen in Form von einem
breiten, gepflasterten «Teppich» zur Verfügung gestellt werden. Die Aufwertung
ist frappant. Einerseits sind die Gassen nun deutlich stärker frequentiert und
andererseits entstand u.a. dank der Aussenrestauration deutlich mehr Leben in
den Gassen. Dazu beigetragen hat sicherlich auch die Öffnung von Einbahnen und
Gassen für die Velos, welche natürlich entsprechend rücksichtsvoll fahren
sollten, was mit einer entsprechenden Kampagne begleitet wird. Aber auch die
Einführung der nun praktisch flächendeckenden Begegnungszone, (noch) mit Ausnahme
des Bahnkorridors durch den Marktplatz-Bohl, hat zu einer «lebendigen Altstadt»
beigetragen. Die Begegnungszone trägt zudem auch massgeblich zur Erhöhung der
Verkehrssicherheit bei.
Aktuell läuft ein Pilotprojekt für sie Güterverkehrslogistik
in der Stadt St.Gallen, welche auch die Situation in der Altstadt bereits schon
etwas verbessert hat. Ziel ist es, dass die Güter im Osten bzw. im Westen in
das Güterverkehrslogistikcenter geliefert werden und dann nur noch jeweils von
einem Betreiber zu einem günstigen Pauschalpreis in die St.Galler
Innenstadt/Altstadt geliefert wird.
Organisation
Die Projekterarbeitung erfolgte in einem interdisziplinären
Team. Es sind verschiedene Anspruchsgruppen wie die Gassengesellschaften, die
Behindertenverbände, der Seniorenrat sowie Pro City einbezogen worden.
Ebenfalls konnte bei den Altstadtgassen auf die fachliche
Begleitung des kantonalen Tiefbauamtes zurückgegriffen werden. Die kantonale
Fachstelle des Fuss- und Veloverkehrs prüft u.a. im Rahmen der
Erfolgsgeschichte Agglomerationsprogramm St.Gallen-Bodensee die Projekte. Er
sprach sogar bei einigen Gassen (nebst den Bundesgeldern) auch eine
Mitfinanzierung in Form eines werkgebundenen Beitrages aus.
Die am Bau beteiligten Firmen und das Tiefbauamt der Stadt
St.Gallen waren stets in engem Kontakt mit den Betroffenen und haben versucht
die Umtriebe und Lärmemissionen so tief wie möglich zu halten.
Zeitraum
Vorstudien/Grundlagenarbeit: 2013
Vorprojekte: 2014-2016
Bauprojekte: 2015 - 2019
Beschluss: 2016 Goliathgasse, 2017 Brühl- / Engelgasse, Metzgergasse 2019
Bau: 2018 Goliathgasse, 2019 Brühlgasse und Engelgasse, 2020 Metzgergasse
Kostenrahmen
Goliathgasse: 1.5 Mio Fr.
Brühlgasse: 3.2 Mio. Fr. (inkl. Glocken-, Löwen- / Kugelgasse)
Metzgergasse: 1.4 Mio Fr.
Engelgasse: 0.7 Mio Fr.
Total: ca. 6.8 Mio Fr.