Flâneur d’Or 2001

Bern/Köniz (BE): Berner Modell und Seftigenstrasse

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Verkehrsstrom und -lärm sind geblieben, aber aus einer unwirtlichen, trennenden Dorfschneise entstand eine Durchgangsstrasse mit verbindendem Charakter. Wabern hat eine neue Ortsmitte und die ewige Warterei an den Fussgängerampeln gehört der Vergangenheit an. Das Schlüsselwort dazu heisst “Berner Modell”.


Heute, vier Jahre nach dem Totalumbau, ist die Seftigenstrasse mit 21'000 Fahrzeugen pro Tag gar noch leicht stärker belastet als zuvor. Doch die Autos müssen sich ihren Platz mit dem – bevorzugt behandelten – Tram teilen. Möglich wurde diese Zusammenlegung von Fahrbahn und Tramtrassee durch ein ausgeklügeltes System von Ampeln und Kreiseln. Die beabsichtigte Verstetigung des Verkehrs ist eingetroffen: Die mittlere Fahrgeschwindigkeit ist zwar gesunken (von 31 auf 28,5 km/h), dank kürzerer Stillstandszeiten dauert die Durchfahrt im Schnitt aber nur noch 64,5 statt 67 Sekunden. Die den Verkehr dosierenden Ampeln, zuvor fast rund um die Uhr in Betrieb, schalten sich nur noch während rund 2,5 Stunden pro Tag ein.
  Komfort und Sicherheit für Fuss- und Veloverkehr
Warteten FussgängerInnen durchschnittlich 20 Sekunden, um über die alte Seftigenstrasse
zu kommen, sind es heute 1,6 Sekunden. Das Überschreiten der Fussgängerstreifen
ist offenbar derart problemlos, dass trotz des einladenden Mittelstreifens das “wilde” Queren zurückgegangen ist. Abgenommen hat beim Queren auch die Verweildauer auf der Fahrbahn. Noch weit stärker als dem Fussgänger- (plus 11%) hat der Komfort- und Sicherheitsgewinn dem Veloverkehr Auftrieb verliehen (plus 56%).
Das kleine Wunder fusst auf einem intensiven partizipativen Planungsprozess, wie ihn das Berner Modell in Gang setzt, um den verkehrspolitischen Grundsätzen des Kantons Nachachtung zu verschaffen. Das Instrument der “erweiterten angebotsorientierten Verkehrsplanung” orientiert sich an Grenzen und Grenzwerten und entsprechenden interdisziplinären Erkenntnissen, die definieren helfen, wie Problemstrassen in jeder Beziehung wieder “verträglich” zu machen sind. Erstens sollen so die Folgeschäden des nach rein technischen Kriterien vorgenommenen Strassenbaus behoben und zweitens Spielräume für die zukünftige Entwicklung geschaffen werden.
  Mitreden, um mitzutragen
Die aus Quartier- und RegionsvertreterInnen zusammengesetzte “Kommission Seftigenstrasse” begleitete die Projektierungsarbeiten von allem Anfang an. Das Berner Modell weist dem institutionellen Begleitgremium klare Aufgaben und Kompetenzen zu; seine Mitglieder schlüpfen so nach und nach auch in die Rolle von “Botschaf-terInnen”. Mit einem sehr gepflegten Informationsblatt, dem “asfalter”, schufen die Behörden auch während der Realisierungsphase Goodwill für das Projekt. Vollends zum Vorzeigestück der Berner Planungsphilosophie wird die Seftigenstrasse durch die Kunst am Bau auf dem Mittelstreifen, dem neuen Rückgrat der Verkehrsader. Koexistenz statt Dominanz: Diesen Anspruch löst die Seftigenstrasse heute ein. Der mit 70% Anteil wei-terhin dominierende Autoverkehr muss alle andern gleichberechtigt leben lassen – was er jedoch nur so lange tun wird, als er nicht unbeschränkt weiterwächst.