Luzern (LU): Innovativer Gestaltungsansatz für das urbanste Quartier

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Das Hirschmattquartier ist das urbanste Stadtquartier und ein eigentliches Fussgängerquartier, das im Rahmen einer Gesamterneuerung für Zufussgehende deutlich aufgewertet wurde: Die Trottoirflächen wurden massiv vergrössert, die Randsteinhöhe auf 3 cm reduziert, mehr Bäume gepflanzt, die Anzahl Parkplätze reduziert, die Beleuchtung erneuert sowie ein öffentliches WC gebaut. Für Zufussgehende wurde mehr Raum geschaffen, die Aufenthaltsqualität sowie die Sicherheit erhöht und die hindernisfreie Mobilität für Menschen mit Behinderung verbessert. Während der Bauzeit war das Quartier zu Fuss immer komfortabel und sicher erreichbar. Die Umgestaltung hat dem Quartier eine höhere Nutzungsflexibilität für zukünftige Bedürfnisse verschafft, z.B. für mehr Boulevardrestaurants sowie Begegnungs- und Fussverkehrsflächen.

Ausgangslage

Das direkt neben dem Bahnhof Luzern gelegene Hirschmattquartier ist aktuell eines der urbansten und lebendigsten Quartiere der Zentralschweiz. Die grossstädtisch anmutende Blockrandbebauung mit den sechs Nord-Süd Längsstrassen und vier Ost-West Querstrassen entspricht im Wesentlichen noch immer dem Bebauungsplan von 1898. Neben den beinahe 3‘000 Einwohnerinnen und Einwohnern prägt ein bunter Mix von Kleingewerbe, Dienstleistungsbetrieben, Hotellerie und Gastronomie das Quartierbild. Daneben befindet sich mitten im Quartier der Park «Vögeligärtli» mit der Zentral- und Hochschulbibliothek, einer der beliebtesten innerstädtischen Freiräume, sowie das «Helvetiagärtli» mit dem Wochenmarkt. Entsprechend diesem Mix waren die Ansprüche an die Nutzung und die Umgestaltung vielseitig, zum Teil widersprüchlich und kamen von sehr unterschiedlichen Anspruchsgruppen.

Zufussgehen überwiegt: Rund um das Hirschmattquartier führen verkehrlich belastete Kantonsstrassen. Das Quartier selbst ist davon vergleichsweise wenig belastet. Abgesehen von der mitten durchs Quartier verlaufenden Hirschmattstrasse mit einem durchschnittlichen täglichen Verkehr (DTV) von ungefähr 9‘000 Fahrzeugen, kommen allen übrigen Strassen eine Sammel- oder Erschliessungsfunktion zu. Im Quartier gibt es 500 öffentliche Oberflächenparkplätze und doppelt so viele private Parkplätze. Durch das Quartier führen auch zwei kantonale Radrouten. Das mit Abstand bedeutendste Verkehrsaufkommen kommt aber den zahlreichen Zufussgehenden zu, die sich im Quartier aufhalten und bewegen.

Zielsetzungen

Die öffentlichen Werkleitungen im Quartier waren bis zu 80 Jahre alt und hatten das Ende ihrer Lebensdauer erreicht. Eine 1. Etappe der Werkleitungserneuerungen wurde 2005 bis 2008 umgesetzt. Allerdings dauerten die Bauarbeiten in diesem belebten Wohn- und Gewerbequartier sehr lange und lösten in einem gut funktionierenden Quartier grosse Behinderungen aus, die insbesondere den Fussverkehr, die Aufenthaltsqualität und den Detailhandel in negativer Weise betrafen. Die Verantwortlichen haben ihre Lehren gezogen und die Planung für die verbleibenden sechs zu sanierenden Strassenabschnitte mit nachfolgenden Zielen neu aufgerollt:

  • Werkleitungserneuerungen: Erneuerung aller Werkleitungen im Strassenkörper, sodass mindestens die nächsten zehn Jahre keine Werkleitungsarbeiten mehr getätigten werden müssen (keine Baustellen für die Anwohnenden und Besucherinnen und Besucher).

  • stadträumliche Aufwertung: Erhöhung der Aufenthaltsqualität und der Nutzungsflexibilität für künftige Bedürfnisse.

  • weitere Mehrwert schaffen: Berücksichtigung weiterer Bedürfnisse wie Erhöhung der Verkehrssicherheit, Umsetzung der Behindertengerechtigkeit, Schliessung von Lücken im Velonetz, Anpassung der Beleuchtung an den Plan Lumière oder Bau einer neuen öffentlichen Toilettenanlage.

  • Quartierverträgliche Bauweise:Möglichst geringe Belastung für das Quartier und deren Besucherinnen und Besucher während der Bauarbeiten. Alle Wohnungen und Geschäfte sollen zu Fuss immer sicher und komfortabel erreichbar sein.

Lösungsansatz

Ganzheitliche Betrachtung: Der Strassenraum wurde als Ganzes betrachtet (von Fassade zu Fassade). Alle anstehenden Bedürfnisse wurden zu einem Projekt gebündelt. Dies ergab die Chance aus den Werkleitungssanierungen einen Mehrwert zu erzeugen und die verschiedenen Bedürfnisse optimal aufeinander abzustimmen.

Führung als Gesamtprojekt: ewl energie wasser luzern und die Stadt Luzern führten das Projekt gemeinsam und unter Einbezug aller internen und externen Partner durch. Planung und Ausführung erfolgten aus einer Hand.

Kurz aber heftig – zu Fuss erreichbar: Die Bauzeit für eine konventionelle Realisierung der umfangreichen Arbeiten wurde auf fünf bis sechs Jahre geschätzt bzw. auf rund ein Jahr pro Strassenzug. Mit der intensiven Bauweise konnte die Bauzeit massiv verkürzt werden. Für die Hauptarbeiten in intensiver Bauweise betrug die Bauzeit zwischen zwei und maximal drei Monate pro Strassenzug, sodass das ganze Vorhaben in zwei Jahren ausgeführt werden konnte. Für eine effiziente Bauweise wurden ganze Strassenabschnitte für den Fahrzeugverkehr gesperrt. Der so gewonnene Platz erlaubte eine sichere, komfortable und durchgängige Führung des Fussverkehrs. Das Quartier als Wohn-, Aufenthalts- und Geschäftsort blieb für Zufussgehende immer erreichbar.

Partizipation in Planungsphase: Bereits in einem frühen Planungsstudium wurden die Stakeholder aus dem Quartier in kleinen Gruppen zu Gesprächen eingeladen. Unter der Leitung der beiden zuständigen Stadträte, des Stadtarchitekten und des Stadtingenieurs wurde das Projekt vorgestellt und gemeinsam diskutiert. Die Inputs und Ansprüche der Stakeholder wurden aufgenommen und ins Projekt integriert. Durch diesen Austausch konnten Anliegen frühzeitig berücksichtigt und Akzeptanz geschaffen werden.

Werkleitungsbau schrittweise zu Gesamtprojekt: Durch den Stakeholder-Einbezug wurde aus der zwar anspruchsvollen, inhaltlich aber einfachen Werkleitungssanierung das «Gesamtprojekt Hirschmatt» mit umfassenden Neuerungen im Bereich Verkehr und Gestaltung mit flexiblen Nutzungsmöglichkeiten für künftige Bedürfnisse.
Kommunikation nach innen und aussen: Auf die Kommunikation und den Einbezug der Betroffenen wurde während der Projektierungs- und Ausführungsphase viel Wert gelegt. Mit Baustelleninformationen, Blachen, Plakaten, Briefen, Website und Medienarbeit wurden nicht nur die Quartierbewohnenden und die Geschäfte laufend informiert, sondern möglichst viele Passanten.

Umsetzung

Stadträumliche Aufwertung: Die gestalterischen Lösungsansätze lehnen sich an die Grundidee des Bebauungsplans von 1897 an. Beim Bau des Hirschmattquartiers Ende des 19. Jahrhunderts erhielten die Häuser ein breites Trottoir. Für den Fahrverkehr stand eine gleich grosse Fahrbahnfläche zur Verfügung wie für den Fussverkehr auf beiden Strassenseiten. Dabei diente das Trottoir nicht nur zum Zirkulieren, sondern stellte zusammen mit den anderen Freiräumen wie dem «Vögeligärtli» und dem «Helvetiapärkli» einen wichtigen Aufenthaltsbereich dar. Die Gesamterneuerung Hirschmatt bot nun die Chance, die Trottoirs wieder zu verbreitern und damit mehr Raum für Fussgängerinnen und Fussgänger zu schaffen. 

Trottoirs verbreitert: Konkret sah das Gestaltungskonzept vor, die bestehenden Trottoirs beidseitig der Strasse wieder um mindestens bis auf die Flucht der heutigen Fahrgasse zu verbreitern und die Fahrbahn damit auch optisch zu verschmälern. Der bis anhin hohe Trottoirrand wurde auf drei Zentimeter reduziert. Die bisherigen Längs- und Schrägparkierungen im Fahrbahnbereich finden neu in reduzierter Form längs als Trottoirparkierung statt. In zwei Bereichen mit sehr vielen Fussgängerinnen und Fussgängern entfallen die Parkplätze ganz. So entstanden grosszügige Vorzonen mit neuen Sitzgelegenheiten und Aufenthaltsbereichen. Die Pflanzung von neuen Baumreihen hat die Attraktivität des Quartiers zusätzlich erhöht. Will das Quartier zu einem späteren Zeitpunkt die Anzahl Parkplätz weiter reduzieren, ist dies schnell und einfach umsetzbar: es muss lediglich die Markierung geändert werden, und schon sind mehr Trottoirflächen verfügbar. Das erhöht die Nutzungsflexibilität heute und in Zukunft deutlich.

Hindernisfreiheit: Bei der Neugestaltung wurden auf einer Länge von über 3,5 Kilometer Randsteine frisch gesetzt. Diese erhielten überall einen Anschlag von 3.0 cm anstatt 8 cm, was für Gehbehinderte ein flächiges Queren ermöglicht. Mit Behinderten-Vertretern wurde an der optimalen Ausgestaltung gearbeitet. Daraus ging neben vielen kleinen Optimierungen z.B. im Bereich der Möbelierung/Signalisierung schliesslich als effizienteste Hilfestellung ein Leitliniensystem auf den wichtigsten Achsen hervor, welches je nach Bedarf erweitert werden kann.

Zusätzliche Aufwertung: Auch weitere Bedürfnisse konnten mit der neuen Gestaltung berücksichtigt werden. Es wurden Unfallschwerpunkt (z.B. ungünstige Sichtzonen) verbessert, Lücken im Velonetz geschlossen, die Veloparkierung ermöglicht, das Quartier mit neuen LED-Leuchten ausgestatttet sowie eine neues WC im Bereich des vielbesuchten «Vögeligärtli» gebaut.

Fazit: deutlicher Mehrwert für Fussverkehr
Bei der Gesamterneuerung Hirschmatt wurde die einmalige Chance genutzt – ausgehend von einer Werkleitungssanierung – das Hirschmatt Quartier mit seinen vielfältigen Nutzungsansprüchen dank eines innovativen und flexiblen Gestaltungsansatzes für Zufussgehende aufzuwerten. Der frühzeitige Miteinbezug aller Beteiligten hat sich sowohl in Bezug auf die Akzeptanz wie auch die Qualität des Resultats ausbezahlt. Die Bedürfnisse von Fussgängerinnen und Fussgängern wurden auch während der Bauphase hoch gewichtet und berücksichtigt: Alle Liegenschaften waren zu Fuss immer erreichbar, was allerseits geschätzt wurde und zur positiven Wahrnehmung des Projekts beigetragen hat. Nach Abschluss der Bauarbeiten profitieren Zufussgehende im Hirschmattquartier von mehr Raum, einer höheren Aufenthaltsqualität, mehr Sicherheit und barrierefreien Übergängen. Die neue Gestaltung mit den breiten Trottoirs schafft langfristig Raum für vielfältige Nutzungen und neue Raumzuteilungen. Der entstandene Mehrwert für zu Fuss Gehende trägt wesentlich dazu bei, dass das Hirschmattquartier ein lebendiger und beliebter Raum zum Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Verweilen bleibt. Die Gesamterneuerung in Zahlen:

  • Werkleitungssanierungen und neue Oberflächengestaltung
  • Umsetzung in intensiver Bauweise
  • 6 Strassenzüge
  • 2 verlängerte Sommerhalbjahre 2015 und 2016
  • 1400 Meter erneuerte Kanalisation
  • 800 Meter erneuerte Gasleitungen
  • 2000 Meter erneuerte Wasserleitungen
  • 5300 Meter verlegte Kabelschutzrohre
  • 290 erneuerte Hausanschlüsse (Kanal, Elektro, Gas, Wasser)
  • 3500 Meter neu versetzte Randsteine
  • 8000 Tonnen eingebauter Asphalt
  • 33 Bäume gerodet und 54 neu gepflanzt

Organisation
Bauherrschaft: ewl energie wasser luzern und Stadt Luzern - Tiefbauamt

Gesamtplaner & Bauleitung: IG GPT Hirschmatt (ewp bucher dillier AG, IUB Engineering AG, Appert Zwahlen Partner AG)

Bauherrenunterstützungen: Kieliger & Gregorini AG (Gesamtprojektleitung), Inproma AG (intensive Bauweise), Agentur Umsicht (Kommunikation)

Generalunternehmung für beide Lose West und Ost: ARGE Hima (Anliker AG, Implenia AG)

Zeitraum
2012: Bedürfnisabklärung / Machbarkeit
2013: Vorprojekt und Bauprojekt
bis Sommer 2014: Kreditbewilligungs- und Auflageverfahren (inkl. Behandlung Beschwerden)
ab Januar 2015: Realisierung Teil Ost
ab Sommer 2015: Realisierung Teil West
Mitte 2017: Deckbeläge / Abschluss Bauarbeiten

Kostenrahmen
Total Bausumme: CHF 22.9 Mio.